Mit dem Roboter wieder arbeiten - «Friend» hilft Behinderten Von Irena Güttel, dpa

Querschnittsgelähmte haben auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen. Lena
Kredel hat nach elf Jahren endlich wieder einen Job gefunden. Bremer
Wissenschaftler halfen ihr dabei: Sie haben einen Roboter entwickelt,
mit dem sie selbstständig arbeiten kann.

Bremen (dpa) - Lena Kredel sitzt seit mehr als 20 Jahren im
Rollstuhl. Anfangs konnte sie noch ihre Arme bewegen, doch inzwischen
sind auch diese gelähmt. Kredel ist ständig auf Hilfe angewiesen. Ein
Glas Wasser trinken, sich kratzen oder die Tür öffnen - all das kann
sie alleine nicht mehr. Trotzdem arbeitet sie seit einiger Zeit
wieder. Möglich macht das ein Assistenzroboter.

«Friend» haben die Forscher der Universität Bremen ihren
Prototypen getauft: ein wuchtiger Elektro-Rollstuhl ausgerüstet mit
Computer, Roboterarm und Kameraauge. Mit seiner Hilfe wird Kredel
bald Bücher in der Universitätsbibliothek katalogisieren können - und

zwar ohne, dass andere Menschen sie dabei unterstützen. «Das ist
schon eine wahnsinnige Selbstständigkeit für mich», sagt die
zierliche Frau.

Zum Steuern braucht Kredel nur ihren Kopf. Mit ihrem Kinn bedient
sie einen Joystick, um auf dem Computerbildschirm die gewünschten
Funktionen auszuwählen. Mit ihrer Stirn löst sie an einer Halterung
den Mausklick aus. «Das System macht alles alleine, aber die Nutzerin
behält die Kontrolle», erläutert Projektleiter Torsten Heyer vom
Institut für Automatisierungstechnik.

Zurzeit arbeiten Heyer und seine Kollegen noch daran, die Software
zu verbessern. Außerdem entwickeln sie gerade ein Lesegerät, das mit
Unterdruck die Seiten von Büchern ansaugt und dann mit einem Hebel
umblättert. Kredel sitzt in ihrem Rollstuhl in einer Ecke des Labors
und beobachtet die Wissenschaftler bei der Arbeit. Im Sommer wird das
System wahrscheinlich soweit sein, dass sie damit in der Bibliothek
starten kann.

Bis dahin muss sie noch viel üben: Viermal die Woche kommt sie für
mehrere Stunden in die Uni, um neben dem Katalogisieren auch den
Umgang mit ihrem «Friend» zu lernen. «Obwohl es oft sehr anstrengend

ist, bin ich glücklich, wieder zu arbeiten», sagt Kredel. Für das vom

Bremer Integrationsamt mit rund 400 000 Euro geförderte Modellprojekt
ist die Literaturwissenschaftlerin extra von Berlin in die Hansestadt
gezogen. Es ist ihr erster Job seit elf Jahren.

7,1 Millionen schwerbehinderte Menschen leben dem Statistischen
Bundesamt zufolge in Deutschland (Stand: Ende 2009). Davon sind fast
17 000 querschnittsgelähmt. Auf dem freien Arbeitsmarkt haben sie nur
wenig Chancen. «Es ist zunächst mal eine Barriere in den Köpfen -
meist aus Unwissenheit», erläutert Peter Reichert vom Bundesverband
Selbsthilfe Körperbehinderter. Viele Arbeitgeber könnten sich nicht
vorstellen, dass Schwerbehinderte mit entsprechender Unterstützung
genauso viel leisten können wie die anderen Kollegen.

Mit diesem Vorurteil wollen die Bremer Wissenschaftler in erster
Linie aufräumen: «Wir wollen beweisen, dass behinderte Menschen mit
Hilfe eines Roboters an einem Arbeitsplatz genauso eingesetzt werden
können wie Nichtbehinderte», sagt Heyer. In Serienproduktion wird das
System so schnell allerdings nicht gehen, weil die Kosten noch zu
hoch sind. Denkbar wäre aber, es künftig auch in anderen Bibliotheken
einzusetzen.

«Das ist schon sehr weit in die Zukunft gedacht», meint die
Expertin vom Verband der Elektrotechnik, Birgid Eberhardt. Dennoch
sieht die Medizininformatikerin in dem Modellprojekt großes
Potenzial. «Da werden ganz viele Erfahrungen gesammelt, die sich auf
andere Bereiche übertragen lassen.» Bisher gebe es wenige praktische
Beispiele, wo Menschen in direktem Kontakt mit Robotern
zusammenarbeiten.

Angesichts des demografischen Wandels werden die intelligenten
Maschinen aber immer wichtiger. Roboter können zum Beispiel dazu
beitragen, dass alte Menschen länger arbeiten oder alleine zu Hause
leben können. «Es gibt genügend Menschen, die schwer aus dem Sessel
aufstehen können», erläutert Eberhardt. Denen könnte der Roboter da
nn
ein Glas Wasser holen oder die Lesebrille reichen. In einer
Vorgänger-Studie an der Uni Bremen hat «Friend» bereits bewiesen, das

er das kann.

# dpa-Notizblock

## Internet
- [Forschungsprojekt](http://dpaq.de/0f9N6)

## Orte
- [Institut für Automatisierungstechnik](Otto-Hahn-Allee 1, Bremen)