Nahrungsmittel-Allergien: Viele Tests sinnlos, aber lukrativ Von Annett Klimpel, dpa

Hamburg (dpa) - Weil sie vermeintlich allergisch dagegen sind,
verzichten etliche Menschen auf bestimmte Lebensmittel. Allzu oft
aber beruht diese Annahme auf komplett wertlosen Analysen:
sogenannten Immunglobulin G (IgG- oder auch IgG4)-Tests zum Nachweis
von Nahrungsmittel-Allergien oder Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten.
«Die dabei im Blut nachgewiesenen Antikörper gehören zur ganz
normalen Reaktion des Immunsystems», sagt Jörg Kleine-Tebbe vom
Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin. Sobald jemand etwas
isst, werden sie gebildet. Dennoch werben Anbieter im Internet, in
Zeitschriften und in Broschüren damit, für mehrere hundert
Lebensmittel eine mögliche Unverträglichkeit testen zu lassen.

Erst im Mai veröffentlichten fünf große deutschsprachige
Allergiegesellschaften eine gemeinsame Leitlinie, die sich strikt
gegen die sinnlosen IgG-Bestimmungen richtet (Fachmagazin «Allergo
Journal», Bd.18, S. 267). Die Angebote seien seither aber nicht
weniger geworden, sagte Kleine-Tebbe, der die Leitlinie führend mit
erarbeitet hat. «Bei den Firmen wird so getan, als wäre die
Nützlichkeit noch in der wissenschaftlichen Diskussion. Das ist nicht
so. Aber mit den Tests lässt sich eben auf simple Weise viel Geld
verdienen.» 800 Euro kann eine Bestimmung kosten, meist seien es um
die 300 Euro.

Schätzungsweise ein Fünftel aller Menschen in Deutschland glaubt,
dass sie ein oder mehrere Lebensmittel nicht vertragen. «Tatsächlich
sind es maximal ein bis fünf Prozent», sagt Kirsten Jung vom
Bundesvorstand des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, ÄDA. «Das
wird sehr überschätzt.» Egal ob Magenweh, chronische Hautleiden,
Dauermüdigkeit oder häufiger Kopfschmerz - viele Patienten glaubten
bei derlei Symptomen schnell, an einer Nahrungsmittel-
Unverträglichkeit zu leiden. «Gerade chronisch Kranke mit ihrem hohen
Leidensdruck sind ein leichtes Opfer für die IgG-Test-Angebote»,
erläutert die Erfurter Hautärztin.

Bedenklich sei, dass entsprechende Werbe-Broschüren auch in so
mancher Arztpraxis auslägen, sagt Kleine-Tebbe. «Vielen Ärzten ist
einfach nicht bewusst, dass die Tests ungeeignet sind. Und es gibt
auch schwarze Schafe.» Ein Arzt oder Heilpraktiker, der das für den
IgG-Test nötige Blut abzapft und zum jeweiligen Anbieter schickt,
bekommt einen Teil der Gebühr.

Kritisch sehen die Allergie-Experten die Untersuchungen aber nicht
nur wegen des Geldes, das die Betroffenen zahlen, ohne wirklich Hilfe
zu erhalten. Tragisch seien vor allem die mitunter abgeleiteten
Verhaltensweisen der Menschen. «Völlig unberechtigte Diäten werden
gemacht, die bei einigen Betroffenen zu Mangelerscheinungen oder
Unterernährung führen», erläutert Kleine-Tebbe. «Und das auch bei
Kindern. Ein Skandal, das ist Körperverletzung.»

Wer annehme, bestimmte Lebensmittel nicht zu vertragen, solle am
besten einen Allergologen aufsuchen, rät Jung. Verträgt jemand
tatsächlich bestimmte Nahrungsmittel nicht, wehrt sich der Körper mit
Immunglobulinen der Klasse E - die sich mit einem sogenannten IgE-
oder auch Prick-Test nachweisen lassen. Typische Anzeichen dafür
seien juckende Quaddeln, Gesichtsschwellungen, starkes Jucken im
Hals, Übelkeit und Atemnot, erklärt Kleine-Tebbe.

(Internet: Deutsche Gesellschaft für Allergie und Klinische
Immunologie (DGAKI): www.dgaki.de; Ärzteverband Deutscher
Allergologen (ÄDA): www.aeda.de; Gesellschaft für Pädiatrische
Allergologie und Umweltmedizin (GPA): www.gpau.de; Österreichische
Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI): www.oegai.org;
Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI):
www.sgai-ssai.ch)

dpa kl yyzz a3 ia