«Wir pflegen das Volk» - Wütende Großdemo gegen Gesundheitspolitik Von Ulrike von Leszczynski, dpa

Berlin (dpa) - Sie kamen mit Transparenten, Trillerpfeifen und
einer guten Portion Wut im Bauch. Rund 130 000 Krankenschwestern,
Pfleger, Ärzte und Klinikmanager stimmten am Donnerstag in Berlin den
größten und lautesten Protest der vergangenen Jahre gegen die
Gesundheitspolitik an. Sie gingen vor allem für eine bessere
finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser auf die Straße, aber auch
für weniger Arbeitsdruck und mehr Zeit für Patienten. Krankenkassen
sprachen dagegen von Panikmache. Auch die Verbraucherzentralen gaben
sich skeptisch: Rund 2100 Krankenhäuser mit mehr als 500 000 Betten
seien einfach zu viel für Deutschland.

Es war ein beeindruckendes Bild, das sich am Mittag mitten
im Berliner Regierungsviertel bot. Wie eine bunte Schlange wand sich
der schier endlose Zug von Demonstranten in der Herbstsonne an
Kanzleramt und Reichstag vorbei. OP-Schwestern trugen ihre grüne
Arbeitskleidung mit Haube oder Mundschutz, Hebammen kamen in blau,
Ärzte in weißen Kitteln. Eine alte Frau ließ sich im Rollstuhl von
Demonstranten schieben, die rote Gewerkschaftsfahne in der Hand.

«Wir pflegen das Volk» ist auf einem der vielen Transparente zu
lesen. Es sind vor allem Krankenschwestern, Pfleger und
Gewerkschafter, die aus allen Teilen Deutschlands nach Berlin
gekommen sind, in 600 Bussen und vielen Sonderzügen. Die Fahrtkosten
sponserten die Kliniken mit rund einer Million Euro.

Schon um drei Uhr früh hatten sich Klinikmitarbeiter aus
dem badischen Lörrach auf den Weg gemacht. «Wir haben die Schnauze
voll von dieser arroganten Politik», schallt es aus ihrem Mikrofon
über die Spree ins Regierungsviertel. Aus Bingen am Rhein ist OP-
Schwester Gerry Schmidt mit Kolleginnen nach Berlin gekommen. «Wir
fühlen uns wie am Fließband», klagt sie. «Wir müssen die Patiente
n
förmlich in den OP zerren, es gibt keine Ruhe mehr für Erklärungen.
»
Ihre Caritas-Kolleginnen sind gefrustet, weil keine Zeit mehr für
persönliche Krankengespräche bleibt. «Die Patienten spüren das doch
.
Die sind oft völlig verunsichert», ergänzt Schmidt.

Im Großen geht es nicht um Menschlichkeit in der Pflege, es geht
ums Geld für die Krankenhäuser. 6,7 Milliarden Euro mehr verlangt die
Deutsche Krankenhausgesellschaft, um 2009 genug Ärzte und Pfleger
bezahlen zu können sowie die Bauten in Schuss zu halten. Von den
Bundesländern, die weniger Geld als früher für die Sanierung von
Gebäuden bezahlen, fühlen sich die Klinikmanager im Stich gelassen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kreiden sie ihre
bisherigen Spargesetze samt der Deckelung der Klinikbudgets an.

3,2 Milliarden Euro mehr Geld für die Kliniken hat das
Bundeskabinett am Mittwoch angekündigt. Den Krankenhäusern reicht das
nicht. Sie argumentieren mit steigenden Personal- und Energiekosten,
auch Medikamente und Lebensmittel würden immer teurer. Ein Drittel
der Kliniken stünden deshalb vor der Insolvenz.

Die geforderten Milliarden für die Kliniken müssten in Deutschland
die Krankenversicherten aufbringen. Krankenkassen wie die AOK warnen
bereits, dass die Beitragssätze 2009 auf 15,8 Prozent klettern
könnten. Sie verlangen von den Kliniken mehr Mut zu
Strukturveränderungen. «Wir haben in Deutschland immer noch deutlich
mehr Krankenhäuser pro Einwohner als vergleichbare Länder», sagt
Johann-Magnus von Stackelberg, Vizevorsitzender des Spitzenverbandes
der Gesetzlichen Krankenkassen. Weniger Kliniken bedeuteten nicht
automatisch eine schlechtere Versorgung der Patienten.

Ein Gespräch der Demonstranten mit Ulla Schmidt gab es am
Donnerstag nicht. Sie ist Unmut gewöhnt. In den vergangenen Jahren
protestierten Ärzte bundesweit immer wieder gegen die
Arbeitsbedingungen. Ruhiger dürfte es auch in Zukunft nicht
werden. «Seien Sie sicher, wir sehen uns wieder», sagte Ulrich
Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer, am Schluss der
großen Kundgebung vor dem Brandenburger Tor.

(Berichtigung: In 5. Absatz, 2. Zeile muss es richtig heißen «6,7
Milliarden rpt 6,7 Milliarden (nicht: Millionen) Euro mehr ...».
dpa vl yybb a3 as rh